Der kathodische Korrosionsschutz ist eine weit verbreitete Methode, um stahlbasierte Infrastruktur vor Korrosion zu bewahren. Nun haben-Forschende der ETH Zürich die genaue Wirkungsweise geklärt und damit eine umstrittene Frage gelöst, die die Ingenieur-Gemeinschaft seit Jahrzehnten beschäftigt.
Ein Durchbruch in der Korrosionsforschung
Der kathodische Korrosionsschutz ist seit langem eine bewährte Methode, um Stahlstrukturen wie erdvergrabene Gasleitungen und Stahlbetonkonstruktionen vor Korrosion zu schützen. Doch trotz seiner weiten Verbreitung blieb der grundlegende Funktionsmechanismus bislang unklar und umstritten. Ein Forscherteam unter der Leitung von Ueli Angst, Professor für Dauerhaftigkeit von Werkstoffen an der ETH Zürich, hat nun bedeutende Fortschritte bei der Klärung des Wirkprinzips erzielt, insbesondere bei Stahl in porösen Medien wie Boden oder Beton.
Die Geschichte des kathodischen Korrosionsschutzes
Das Prinzip des kathodischen Korrosionsschutzes geht auf den britischen Chemiker Sir Humphry Davy zurück, der es vor über zwei Jahrhunderten beschrieb. Die Royal Navy wandte die Technik an, um die kupfernen Hüllen ihrer Schiffe vor Korrosion zu schützen. Doch die Methode hatte unerwartete Nebenwirkungen, die die Manövrierfähigkeit der Schiffe beeinträchtigten. Trotz dieses Misserfolgs legte Davy die Grundlage für spätere Anwendungen.
Die Hypothesen zur Funktionsweise
Seit Jahrzehnten stehen sich zwei Theorien gegenüber: Eine besagt, dass der Schutzstrom direkt die Geschwindigkeit der Korrosion beeinflusst, während die andere annimmt, dass der Schutzstrom zu einem Anstieg des pH-Werts im Medium an der Grenzfläche führt, was den Stahl vor Korrosion schützt. Diese Hypothese wurde erstmals 1928 von Robert James Kuhn postuliert.
Ein vereinigender Mechanismus
Die ETH-Forscher fokussierten sich auf die Grenzfläche zwischen Stahl und Elektrolyt und charakterisierten die räumlichen und zeitlichen Veränderungen detailliert. Sie konnten erstmals die Bildung eines hauchdünnen Metalloxidfilms auf der Stahloberfläche nachweisen und zeigen, dass diese Schicht eine direkte Folge des Anstiegs des pH-Werts aufgrund der ablaufenden elektrochemischen Prozesse ist.
Federico Martinelli-Orlando, Erstautor der Studie, ergänzt: «Außerdem konnten wir zeigen, dass diese chemischen Veränderungen auf der Stahloberfläche und im Elektrolyt wiederum zu veränderten Geschwindigkeiten und Verläufen der anodischen und kathodischen Reaktionen führen.»
Die ETH-Forscher schlagen einen Wirkungsmechanismus vor, der die scheinbaren Widersprüche zwischen früheren Hypothesen auflöst und beide Theorien komplementär zusammenführt. «Wir kommen zum Schluss, dass wir diese beiden Theorien eher als Ergänzung denn als Widerspruch zueinander betrachten sollten, um den Wirkmechanismus des kathodischen Korrosionsschutzes vollständig zu erklären», sagt Martinelli-Orlando.
Widerspruchsfreie Normen
Das erlangte konsistente Verständnis kann dazu beitragen, Korrosionsschutztechnologien zu verbessern und kritische stahlbasierte Infrastrukturen sicher, wirtschaftlich und umweltfreundlich zu betreiben. So können die Resultate bestehende, empirische Konzepte nachträglich «validieren» und die Grundlage für widerspruchsfreie Ansätze bilden, etwa um fundierte Norm-Kriterien für die Wirksamkeit des kathodischen Korrosionsschutzes zu entwickeln.
Die aktuelle Publikation in Communications Materials ist Teil eines größeren Forschungsprojektes zu Korrosion und alternder Infrastruktur, das im Rahmen des Forschungsprogramms Horizon2020 des European Research Councils (ERC) unterstützt wurde. Die Erkenntnisse sind relevant für die alternde Infrastruktur und helfen, den Korrosionsschutz zu verbessern und inkonsistente Normen zu harmonisieren.
Originalquelle: ETH Zürich, ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2024/06/das-raetsel-um-den-kathodischen-korrorionsschutz-geklaert.html